Mahnmal für die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege am Gleiritscher Friedhof
Die Granitplatten am Mahnmal für die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege auf dem Gleiritscher Friedhof erinnern uns noch heute an die Gefallenen und Vermissten aus der Gemeinde. Das damit verbundene Leid der Familien und Angehörigen ist nicht zu beschreiben. Hinter jedem Namen verbirgt sich ein junges Menschenleben. Hinter manchem Namen verbirgt sich ein Ehemann, dessen Frau zur Witwe wurde. Hinter anderen Namen verbergen sich der eine oder andere Vater, den sein Kind nie zu Gesicht bekommen hat. Hinter allen Namen verbergen sich trauernde Eltern, Großeltern, Angehörige oder Freunde.Im Jahre 1956 errichtete der damalige Kriegerverein ein Mahnmal für die Gefallenen und Vermissten Kameraden beider Weltkriege an der Mauer beim alten Friedhof. Im Zuge der Kirchenerweiterung in den Jahren 1977/78 wurde es abgerissen und in den heutigen Friedhof verlegt.
Halten Sie beim nächsten Friedhofsbesuch am Mahnmal für die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege inne und lesen Sie bewusst die Namen. Die letzten Feldpostbriefe des damals 21jährigen Chamer Studenten Josef Straßer vermögen vielleicht einen Einblick in das Grauen der damaligen Geschehnisse geben. Das Grauen herrschte bei allen beteiligten Kriegsparteien und steht exemplarisch für die Vermissten und Gefallenen eines jeden Krieges und das damit verbundene Leid.
Letzte Briefe des Chamer Studenten Josef Straßer aus Stalingrad
Stalingrad, 11.11.1942Liebe Eltern!
In unserem Keller im vollständig zerschossenen Stalingrad, einen Kilometer hinter der HKL, hausen wir ganz bequem und warm eingerichtet. Ich habe mir eine Flasche Petroleum und Watte organisiert und somit ein Licht. Gerade das Gegenteil von der Hast des Vormarsches haben wir jetzt. Nachts ist immer starke Artillerie- und Fliegertätigkeit. Heute hat unsere Division angegriffen. Die vielen Verwundeten, die im Laufe des Tages zurückkamen, sagten, dass es nicht recht vorwärts ginge. Hätte nämlich die Division ihr Ziel erreicht, so hätten wir als Sicherungskompanie es über den Winter bequem. Kopf- und Augenverletzungen hatten die meisten Verwundeten, die sie sich im Häuserkampf durch Handgranatensplitter und Scharfschützen geholt hatten. Diebe sind bei uns. 300 Mark wurden gestohlen. Heute war ich beim Regimearzt. Er sagte:"Sie können ja noch leben."
Am 16. November fiel der erste Schnee. Der Wind kam aus der Steppe Kasachstans. Es war Eiswind. Das alles geschah ganz unvermittelt und ohne Übergang. Das Oberkommando der Wehrmacht meldete am 18. November:"Im Stadtgebiet von Stalingrad dauern die schweren Häuser- und Straßenkämpfe an." Generaloberst Paulus sagte in den Abendstunden des 18. November zu einem Kriegsberichterstatter im Gefechtsstand der 384. Infanteriedivision:"Ich weiß nicht, womit ich noch kämpfen soll."
Stalingrad, 5.12.1942
Liebe Eltern!
Bei der Ablösung in Stalingrad kam ich mit meinen Kameraden aus Erschöpfung und Hunger nicht mehr mit. Ganz allein lag ich bei der Geschützfabrik und konnte aus Schwäche nicht mehr weiter. Die Granaten trafen mich aber nicht. Nur zwei Kameraden traf es später tödlich, als sie mich holen wollten. Zum Arzt ging der Hauptfeldwebel selbst mit und entschied, wer krank ist und nicht. Durch den Schnee können wir uns etwas reinigen. Man kann sich waschen und Tee kochen.
Stalingrad, 11.12.1942
Liebe Eltern!
Unsere Pioniere haben jetzt vor unseren Stellungen Drahthindernisse und Minensperren gelegt. Wir bauen ständig und richten uns für den Winter ein. Ich bin froh, dass wir warme Winterkleidung vor unserer Einkesselung noch erhielten. Jetzt geht uns nur die Verpflegung ab. Mit der Scheibe Brot, die wir täglich erhalten, wird keiner satt. Auch auf Pferdefleisch bekommt man Durchfall nur noch besser. Auf meine Feldpostnummer 11 87 79 sendet mir bitte Zwiebeln. Bei der Infanterie kann ich mich über Winter noch am besten erholen. Obwohl die Postensteherei, kein Schlaf und die Angriffe der Russen uns alle ruinieren. Hoffentlich überstehe ich alles lebend mit Gottes Hilfe!
Stalingrad, 20.12.1942
Liebe Eltern!
In vier Tagen ist Heiliger Abend. So ein Weihnachten wie dieses werde ich wohl nicht mehr erleben. Weder Verpflegung noch Post haben wir. Dazu kommen noch die Angriffe der Russen. Hunger tut weh. Nachts krabbeln wir immer zu den Toten hinaus und suchen nach Brot. Wann wird dies alles ein Ende nehmen? Ausfälle haben wir wieder viele gehabt. Schon in der Frühe hat russisches Pakfeuer mehrere erwischt. Jetzt müssen wir natürlich recht oft Wache stehen. Den ausgehungerten Zug, wenn er immer auf Wache zieht, der sich kaum noch rühren kann, kann man sich nicht vorstellen. Vor sechs einfachen Soldaten hatte ein Mann, der in Dresden Pfarrer war, in einer Granatwerferstellung auf der Höhe 137 zu Weihnachten gesagt:"Die Stalingradweihnacht ist ein Evangelium der Front, wer später einmal davon hört oder daran erinnert wird, der soll mit wachen Augen und starkem Herzen die Jahre zurückgehen, zu der Stadt an der Wolga, dem Golgatha der VI. Armee."
Stalingrad, 24.12.1942
Liebe Eltern!
Wir liegen immer noch in der Nähe der Geschützfabrik. Wir sind noch zehn Mann, vier sind beim gestrigen Angriff ausgefallen. Angriff war erfolglos. Arm- und Gesichtsschuss. Die Leute werden immer weniger, die Verpflegung dadurch mehr.
Stalingrad, 25.12.1942
Liebe Eltern!
Die Kompanie ist schwach geworden. Unser Feldwebel, der ein Soldat war, ist verwundet. Ebenfalls der Chef, ein Unteroffizier, der ihm folgte, ist durch einen Armschuss verletzt. Jetzt haben wir einen Unteroffizier, der bloß "Jawohl Herr Hauptmann" zum Bataillonsführer sagen kann, einen Hauptmann, der es hier wurde und der nur mehr auf das Ritterkreuz wartet und im Keller sitzt. Obwohl die Kompanie wieder einige Mann Nachschub erhalten hatte, sind wir jetzt nur noch sieben Mann. Von meiner alten Kompanie sind alle weg. Ich selbst erhielt heute meine dritte Verwundung, einen Schuss in die rechte Hand, der mir sogar Hosentasche und Mantel zerriss. Zuerst erhielt ich einen Granatsplitter an der linken Hand, dann einen großen ins Gesäß. Durch mangelnde Verpflegung bin ich schon stark geschwächt. Essen kann ich gar nichts mehr. Trostlos ist bei uns die Stimmung. Wir haben Verstärkung von anderen Kompanien im Haus, dauernd haben wir Fluchtgedanken. Fast alle Ausfälle sind Verwundungen. Die Russen greifen unerbittert an, ständig liegen wir unter Artilleriefeuer.
Stalingrad, 26.12.1942
Liebe Eltern!
Wir greifen nicht mehr an, sondern wir müssen nur noch die Häuser besetzt halten. Die Häuser werden nach und nach von Pioniereinheiten genommen, aber es geht auch schlecht vorwärts. Viele Ausfälle, der Unteroffizier hat einen Bauchschuss. Neben den Scharfschützen ist das Granatfeuer gefährlich.
Stalingrad, 30.12.1942
Liebe Eltern!
Unsere Grabenstärke ist jetzt noch sechs Mann. Leute anderer Kompanien sind in unserem Haus zur Unterstützung. Von den zehn Mann, die von meiner Artilleriekompanie übernommen wurden, bin ich noch der einzige. Einer fiel, sechs wurden verwundet, zwei starben aus Schwäche. Den Verwundeten und Kranken geht es nicht gut. Nur ganz Schwerverletzte kommen heraus. Essen verzehre ich immer auf einmal. Wenn Post kommen würde, könnte man sich an der Verwundetenpost vollfressen, aber es wird oft alles vernichtet durch Sprengungen. Mein Splitter im Gesäßbecken eitert und tut mir von Tag zu Tag weher. Schickt mir bitte nichts mehr.
Stalingrad, 1.1.1943
Liebe Eltern!
Von ganzem Herzen wünsche ich euch ein glückliches neues Jahr. Gott möge mir Glück bringen. Zum Neid meiner Kameraden gehe ich heute zum Tross, wo die anderen Kameraden sind, die in unserem Haus verwundet oder krank sind. Der Handgranatensplitter sitzt so tief. Ich kann mich nicht mehr rühren, habe Schmerzen beim Gehen und Liegen sowie Fieber. Wenn nicht mein Herz so gesund wäre, wäre es mir wie zwei Kameraden meines Alters ergangen, die starben gestern lautlos. Post habe ich immer noch nicht. Als Silvesterzugabe bekamen wir einen Becher Schnaps, einen Lebkuchen und eine Rolle Bonbons. Das alles aber bekam nur die Gefechtskompanie. Einigermaßen wurde ich wenigstens satt. Beim Tross werde ich zu meiner Artillerieeinheit gehen. Einen Liter Suppe geben die mir dort bestimmt. Dann kommen bessere Zeiten. Wir kommen von den schwersten Kämpfen als Überlebende heraus. Wer in Stalingrad gekämpft hat, reicht für sein Leben.
Dieser Brief des Neujahrestages 1943 war der letzte, der aus der Hand des verwundeten Soldaten Josef Straßer seine Eltern erreichte. Niemand kennt sein weiteres Schicksal.
Quelle: Eberhard Heger, Waldheimat, 4. Jahrgang, 1963, Nr.2